KRITIK: Giuseppe Verdis Oper „La Traviata“ in Basel

KRITIK: Giuseppe Verdis Oper „La Traviata“ in Basel

Theater Basel: Ganz allein ist diese Frau auf der Bühne. Kein anderer Mensch weit und breit, keine Behausung schützt sie vor Blicken. „This is for you“ – das ist für Euch – spricht die Einsame in die Dunkelheit. Dann setzen die hohen Streicher mit der zerbrechlichen Ouvertüre zu Giuseppe Verdis Oper „La Traviata“

Ein Gazevorhang trennt das auf der Hinterbühne postierte Sinfonieorchester Basel vom Geschehen. Benedikt von Peters radikale Inszenierung von „La Traviata“ entstand bereits vor zehn Jahren am Staatstheater Hannover mit Nicole Chevalier in der Titelpartie, am Theater Luzern war sie auch schon zu sehen. Dabei greift der Regisseur nicht in das Werk ein, sondern reduziert es nur auf seinen Kern: die in Musik gesetzte Einsamkeit der Kurtisane Violetta Valery, die nie im Leben echte Liebe erfahren hat und am Ende an Tuberkulose stirbt. Die übrigen Partien werden von den Solisten im dunklen Zuschauerraum gesungen. Auch der Chor ist nur aus dem Off zu hören.

Von Beginn an nimmt Nicole Chevalier, die ihre Karriere 2003 am Freiburger Theater begonnen hat, die Zuhörer mit auf diese Reise in emotionale Extreme. Auf den Ball, wo sie ihren Liebhaber Alfredo kennenlernt, geht sie mit Tutu, Korsage und rosa Perücken (Kostüme: Geraldine Arnold). Aber ihr Selbstbewusstsein strahlt nur für wenige Augenblicke, wenn sie ihre dunkel schimmernde, voll tönende Sopranstimme mit Glanz versieht. Chevalier lässt diese verwundete Violetta immer wieder zusammenbrechen und betont gesanglich die fragilen, ganz nach innen gerichteten Momente. Im zweiten Akt, als sie von Alfredos Vater Giorgio Germont (mit kräftigem, intonatorisch nicht immer ganz sicheren Bariton: Noul Bouley) zum Verzicht auf die Liebe zu Alfredo aufgefordert wird, wechselt Chevalier zwischen Verständnis und Verzweiflung, zwischen Wut und Wahnsinn, ehe sie auf dem Ball von Flora Bervoix (Ena Pongrac) zum vom Chor gesungenen Auftritt der Toreros einen Stierkopf überzieht und ihre seelischen Schmerzen herausbrüllt. Auch im Bühnenbild von Katrin Wittig herrscht Reduktion. Eine Tür und ein Fenster sind ein Haus, ein paar blinkende Lichter illustrieren den Ballsaal.

Im letzten Akt sucht die Todgeweihte Schutz unter ihrem rosa Ballkleid. Als Alfredo sie besucht, gibt Nicole Chevalier Violetta nochmals Lebenskraft zurück. Für das letzte Liebesduett klettert die Sängerin mit verschmiertem Lippenstift singend von der Bühne über die Stühle ins Publikum. Sie breitet die Arme aus, als würde diese Violetta im letzten Überschwang der Gefühle fliegen. Mit den Armbewegungen dirigiert Chevalier auch ihren großartigen Partner Arthur Espiritu, der mit viel Tenorschmelz und leuchtenden Farben die Partie des Alfredo vom Seitenrang zum Blühen bringt. Das Sinfonieorchester Basel folgt unter der Leitung von Tito Ceccherini den Solisten wie ein Schatten. Dieser Verdi hat Eleganz und Zärtlichkeit, aber auch enorme rhythmische Energie in den Ballszenen. In der Sterbeszene ist ihr Arm nach oben gestreckt, die Augen geschlossen, der Mund weit aufgerissen – ein stummer Schrei nach Liebe. „This is for you“, lauten ihre letzten Worte. Dann geht das Licht aus. Und das gesamte Publikum im Theater Basel bedankt sich mit stehenden Emotionen für dieses besondere Musiktheatererlebnis.

Georg Rudiger /  Foto: Ingo Hoehn

INFOS/TICKETS: Weitere Vorstellungen 8.1.2022. Tickets unter www.theater-basel.ch